SIMU – das Simulationszentrum der Masaryk Universität
Stellen Sie sich ein gänzlich neu errichtetes Krankenhaus vor. Bereits am Weg über die sogenannte „Golden Gate to Campus“-Brücke staunen Sie über die imposante Fassade in Orange-Rot, über die formvollendete, modern anmutende Architektur. Sie betreten das Krankenhaus – ein Gebäude mit über 8.000 Quadratmetern auf 5 Stockwerken samt eigenem Rettungswagen, Hubschrauberlandeplatz am Dach und einer zusätzlichen 2-stöckiger Tiefgarage. In den ausgedehnten Fluren des Krankenhauses entdecken Sie eine Notaufnahme, einen Operationssaal, eine Entbindungs- und eine Intensivstation, zahlreiche Untersuchungsräume, Zahnarztpraxen und Krankenhauszimmer – alles bestens ausgerüstet, alles auf dem modernsten Stand der Technik. Wohin man auch blickt: Überall befinden sich das ärztliche Personal und der medizinstudentische Nachwuchs im unermüdlichen Einsatz. Es wird intubiert, gegipst und verbunden, es wird genäht, operiert und reanimiert. Und bei all dieser Betriebsamkeit findet sich nur eines nicht: PatientInnen. Willkommen in SIMU – dem Simulationszentrum der medizinischen Fakultät der Masaryk Universität in Brünn!
Zugegeben, es gibt natürlich PatientInnen in SIMU. Diese sind allerdings nicht echt, auch wenn sie täuschend echt wirken. Es handelt sich entweder um Low- bzw. Highfidelity-Simulationspuppen, Virtual-Reality-Figuren in 3-D oder um auf Simulationen spezialisierte SchauspielerInnen. Diese standardisierten PatientInnen bilden den Mittelpunkt von vielfältigen Simulationstrainings für die StudentInnen der medizinischen Fakultät der Masaryk Universität. Bei diesen praxisorientierten Trainings erhalten die akademischen Auszubildenden – von singulären Skills-Trainings bis zu komplexeren Teamtrainings – die wertvolle Möglichkeit, wichtige medizinische Fähigkeiten, Behandlungsabläufe und Kommunikationsstrukturen im Hands-on-Verfahren zu erproben/zu erlernen. Der große Vorteil: Im Gegensatz zum realen medizinischen Alltag können in diesem geschützten Umfeld Fehler gemacht werden. Fernab von realen PatientInnen und damit verbundenen Konsequenzen entfaltet sich der didaktische Mehrwert, durch praktische Trainings Fehler zu erkennen und effektiv aus diesen zu lernen. Damit diese nicht da passieren, wo es drauf ankommt: am lebendigen Menschen.
Die Entstehung von SIMU
Die Idee zu SIMU, einem Simulationszentrum in Form eines simulierten, voll ausgestatteten Krankenhauses, entstand 2014. Und die Idee war/ist eine große. Im bildungsbezogenen Kontext der Universität sollte ein einzigartiger Ort geschaffen werden, an dem Simulationstrainings unabhängig von den Ressourcen und Räumlichkeiten realer medizinischer Institute durchgeführt werden können. Ein Ort, an dem Simulation nicht mehr nur eine optionale, zeitlich begrenzte Schulungsergänzung oder Fortbildungsmaßnahme darstellt, sondern ihr ganzes Potenzial – didaktisch, methodisch sowie strukturell – entfalten kann. Dieses Vorhaben stellte nichts weniger als eine Kampfansage gegenüber einem weitverbreiteten Missverständnis dar: nämlich dass es sich bei Simulation um eine isolierte Nischendisziplin handelt, die nur wenigen Spezialisten vorbehalten ist. Die Idee von SIMU dachte den Begriff Simulation wesentlich größer: Simulation sollte und würde zu einem integrativen Bestandteil des medizinischen Studiums an der Masaryk Universität werden.
Bis zur konkreten Umsetzung der initialen Idee war es allerdings noch ein weiter Weg. Allein die Planung des riesigen Simulationszentrums nahm mehrere Jahre in Anspruch. Während der aktive Austausch mit bestehenden internationalen Simulationszentren und renommierten Instituten ein valides Bild des aktuellen Simulations-Status-quo lieferte, erforderte die Projektausführung selbst eine intensive Zusammenarbeit multidisziplinärer Expertenteams. Nur durch das enge Zusammenspiel und Ineinandergreifen von Architektur, Projektmanagement, Medizin, Forschung, Universität, Simulations- und Medientechnik (um nur einige Disziplinen zu nennen) kann ein solch ambitioniertes Projekt tatsächlich in die Realität umgesetzt werden. Im Falle von SIMU eine eindrucksvolle Erfolgsgeschichte: Nach intensiven Bau- und Technik-Arbeiten konnte das ambitionierte, von der Europäischen Union geförderte Projekt* plangemäß Ende des Sommers 2020 fertiggestellt werden – angesichts der monumentalen Ausmaße des Simulationszentrums eine erstaunlich kurze Bauzeit.
*Das Simulationszentrum SIMU wurde von den European Structural and Investment Funds gefördert.
Simulation als Teil des Curriculums
Bereits im ersten Jahr bot SIMU (Lern-)Raum für 3.000 StudentInnen und eine große Bandbreite an diversesten Simulationsmöglichkeiten. Im Jahr 2022 waren es bereits 4.700 StudentInnen und 300 LehrerInnen, für 2023 werden bis zu 6.000 StudentInnen erwartet. Zu den LehrerInnen in SIMU zählen auch höherstufige StudentInnen, die ihr erworbenes Wissen an jüngere KommilitonInnen weitergeben. Diese Einbindung von erfahreneren StudentInnen in den aktiven Lehrbetrieb verdeutlicht bereits, dass beim Studienangebot großer Wert auf neue Lehrmethoden gelegt wird. Frei nach dem Motto „Praxis ist der beste Lehrmeister“ werden StudentInnen in SIMU nicht nur bzw. kaum mit Frontalunterricht konfrontiert, sondern sind dazu angehalten, sich Inhalte selbst anzueignen: mittels Eigeninitiative, Gruppenarbeiten, praktischer Übungen, etc. Die Räumlichkeiten von SIMU spiegeln dies architektonisch wider. Anstelle von klassischen Seminarräumen mit monozentriertem Dozentenplatz und darauf ausgerichteten Publikumsplätzen, finden sich dort viele Gemeinschaftsräume, die großzügigen Raum für gruppendynamische Diskussionen und Interaktionen eröffnen. In SIMU gilt: Lernen durch Handeln statt nur durch Zuhören.
Praktische Simulationstrainings stellen eine perfekte Ergänzung zu diesem modernen pädagogischen Ansatz dar. Als integraler Bestandteil des medizinischen Curriculums werden die meisten medizinischen Fächer vom 1. bis zum 6. Semester an SIMU unterrichtet. Der prozentuale Anteil der Zeit, die die Studierenden während dieses Teils ihres Medizinstudiums an der SIMU verbringen, variiert von Fach zu Fach, kann aber beispielsweise bei solch praxiszentrierten Studien wie der Intensivpflege bis zu 80 Prozent betragen. Die Inhalte und Strukturen der auf die Studienrichtungen fokussierten Simulationstrainings werden dabei in enger Zusammenarbeit zwischen den ProfessorInnen der Masaryk Universität und den Simulations-TechnikerInnen von SIMU entwickelt. Das Trainingsangebot wird so direkt auf den Lehrplan abgestimmt und erweitert sich von Jahr zu Jahr. Dies ermöglicht eine komplementäre Vervollkommnung der theoretischen Inhalte durch die praktischen Aspekte der medizinischen Trainings. Lernen und Erfahrung gehen Hand in Hand und komplettieren sowohl die studentische Ausbildung als auch die postgraduale Weiterbildung.
Die technische Seite der Simulation
Damit sowohl die StudentInnen als auch das Lehrpersonal den größtmöglichen Lerngewinn aus den Simulationstrainings ziehen können, hat man sich bei SIMU für videobasierte Recording- und Debriefing-Systeme von SIMStation entschieden. Die individuell zusammengestellten AV-Systeme (fix installierte und mobile Varianten) sorgen dafür, dass die Gestaltung und Kontrolle sowie die Übertragung und das Debriefing der Simulationstrainings möglichst effizient vonstatten geht. Für die Vorort-Projektplanung zeichnete unser Distributor AV Media Experts verantwortlich, die Installation der SIMStation Komponenten wurde AVT Group übernommen. Diese Zusammenarbeit gestaltete sich als äußerst erfolgreich. So erhielt AV Media Experts 2022 für das Projekt in Toronto den GPA Excellence Award, für 2023 ist man für den renommierten Inavation Award nominiert.
Um einen Eindruck der gewaltigen technischen Dimensionen zu erhalten, genügt ein Blick auf die reinen Zahlen:
- SIMU verfügt über ein eigenes 25-köpfiges Techniker- und IT-Team (darunter 3 AV-Techniker), die für einen perfekten technischen Ablauf sorgen.
- Insgesamt stehen 56 bestens ausgerüstete Lehr-/Simulationsräume, 11 Kontrollstationen + 1 mobile SIMStation Control Unit und 7 Debriefingräume zur Verfügung.
- Das Recording und Debriefing der Trainings werden mit 1 SIMStation Enterprise, 1 SIMStation Pro und/oder 1 SIMStation Essential durchgeführt. Von der mobilen bis zur server-basierten Lösung sind in SIMU sämtliche SIMStation Produktlinien der neuesten Generation im Einsatz!
- Sämtliche SIMStation Systeme werden mit der neuen Version der SIMStation Software 6.0 betrieben – mit dem vollen Funktionsumfang dieser innovativen Lösung.
- Für die Daten-Vernetzung/Übertragung sorgen 1 eigener Serverraum sowie 6 separate Audioserver-Units (zur Umsetzung von digitalen Audiooptimierungs-Funktionen).
- 32 Grenzflächenmikros, 28 drahtlose Teilnehmer-Mikrofone, 11 PTZ IP-Kameras, 48 IP-Kameras, 14 Media Screens, 20 VoIP-Telefone, zahlreiche Patientenmonitore sowie digitale Lautsprecher für „Audio to Room“ und „Audio of Patient“, ...
- Zusätzliche technische Highlights: 24 Highfidelity-Simulationspuppen, mehr als 13 Highfidelity-Simulationsbetten, 14 3-D-Simulatoren, ein Rettungswagen-Simulator, ein CT-Simulator u.v.m.
Was für das Curriculum und auch die Bandbreite der verfügbaren Simulationstrainings gilt, gilt auch für die Technik: Man hat sich dem State of the Art verschrieben, und so wie das Trainingsangebot wird auch das technische Equipment des Simulationszentrums ständig geprüft, erweitert, modernisiert. Innovation ist bei SIMU kein Zustand, sondern ein Prozess; einer, der nie stehenbleibt. Dies erfordert eine konstante, enge Zusammenarbeit mit Medizin, Forschung und Industrie. Ein anschauliches Beispiel: die Vorab-Implementierung und der Pre-Launch der neuen SIMStation Software 6.0 in SIMU im Sommer/Herbst 2022.
SIMU und die SIMStation Software
Bei der agilen Entwicklung der neuen SIMStation Software 6.0 spielte SIMU eine äußerst wichtige Rolle. Durch die Partnerschaft und den stetigen Austausch mit SIMU erhielt/erhält SIMStation viele wertvolle Denkanstöße, welche neuen Funktionen der SIMStation Software einen Mehrwert in der tatsächlichen Simulationspraxis darstellen könnten. Ebenso wie neue Entwicklerideen von SIMStation oft viele Impulse für neue praktische Trainingsmöglichkeiten in SIMU mit sich bringen. Anwendung trifft auf Entwicklung und umgekehrt; beide beeinflussen sich gegenseitig.
Auf diesen produktiven Austausch folgt eine ausführliche Testphase. Sobald unsere Projekt- und Entwickler-Teams erste Beta-Versionen neuer Funktionen fertigstellen, werden diese vorab in SIMU implementiert. Dies bringt für alle Beteiligten große Vorteile: SIMU erhält die Möglichkeit, sämtliche neuen Funktionen im Simulationsalltag testen zu können. Wie lassen sich die neuen Funktionen praktisch nutzen? Welche neuen Anwendungsmöglichkeiten lassen sich dadurch umsetzen? Wie kann der Lehrplan dadurch bereichert werden? SIMStation wiederum profitiert von einer technischen Testumgebung mit institutionellen Dimensionen, die sämtliche Produktausformungen und Anwendungsmöglichkeiten der betreffenden Funktionen umfasst. Anwendung und Entwicklung stellen sich in diesem Fall als zwei Seiten einer Münze dar, die dasselbe Ziel verfolgen: Das Simulationsangebot und die Simulationsmöglichkeiten stetig zu erweitern und allgemein Simulation bzw. Simulationstechnik immer besser zu machen. Dieser gegenseitige Entwicklungsprozess offenbart sich konkret als das, was eine Partnerschaft ausmacht: eine Win-win-Situation, von der beide Seiten profitieren.
“For me, SIMU is the embodiment of a dream of change. It is a realization of a vision for me and a confirmation that it makes sense not only to have visions but also to work hard for them. SIMU is a team for me. A team of extraordinary people who know they have to work through every change.”
Petr Štourač
Head of Department of simulation medicine
Fazit: Die Institutionalisierung von Simulation
Der in Bezug auf die SIMStation Software beschriebene Prozess verdeutlicht in vielerlei Hinsicht den Selbstanspruch von SIMU: nämlich als Inkubator im Bereich Simulation Innovation stetig zu fördern und voranzutreiben. Dies bedeutet auch, Simulation international zu denken und vor allem Simulation im Bereich der Medizin zu institutionalisieren. Mit seinem Angebot und Aktivitäten nimmt SIMU hierbei eine Vorreiterrolle ein.
- Videobasierte Simulationstrainings in SIMU sind integrativer Bestandteil des Medizinstudiums an der Masaryk Universität. Die Absolvierung der Trainings ist für alle StudentInnen sämtlicher Fachrichtungen verpflichtend. Praktische Anwendung wird zum obligatorischen Standard, um die theoretische Aus- und Weiterbildung methodisch zu bereichern, zu vervollkommnen.
- Das Simulationszentrum SIMU ist keine isolierte Institution, sondern arbeitet in enger interdisziplinärer Zusammenarbeit mit den theoretischen Fachkräften der Universität. Theorie und Praxis beeinflussen sich gegenseitig und sind jeweils aufeinander abgestimmt, um den StudentInnen ausgewogene Curricula und die bestmögliche Ausbildung bieten zu können.
- Als renommiertes Simulationszentrum hat man sich als Beraterinstanz für neue Simulationsprojekte auch außerhalb Europas einen Namen gemacht. Als europäisches Best-Practice-Beispiel wird SIMU regelmäßig von Delegationen besucht, die sich Inspiration für den Bau neuer Simulationszentren und Institute holen.
- SIMU ist international bestens vernetzt. Studentische und akademische Resident-Programme liefern eine Basis für personelle Austauschprojekte und internationalen Wissenstransfer. Dem internationalen Gedanken kommt es hierbei zugute, dass große Teile der Unterrichtssprache bereits gänzlich auf Englisch umgestellt wurde.
- Ein separater Studien-Zweig (PhD-Kurs) mit dem Schwerpunkt "Healthcare Simulation" wurde 2022/2023 implementiert. Dies stellt sicher, dass medizinische Simulation bei SIMU nicht nur konkret angewandt, sondern das Wissen, die Methoden und der Mehrwert von medizinischer Simulation auch direkt weitergegeben werden kann. Eine folgerichtige Maßnahme, um das Potenzial von Simulation auch an anderen Ausbildungsstätten etablieren und ausbauen zu können.
Dieses visionäre Verständnis von Simulation und die konsequente Umsetzung in SIMU sind wichtige Schritte, um Simulationstraining als eine der führenden didaktischen Methoden im Medizinstudium und generell Simulation als essentiellen Bestandteil der Qualitätssicherung in der Medizin zu verankern. All dies macht SIMU nicht nur zu einer beeindruckenden Ausbildungsstätte, sondern zu einem Vorzeigeprojekt in ganz Europa; einem wegweisenden Projekt, von dem auch in Zukunft noch viel Großes zu erwarten ist.