Simulationsfähige Einsatzfahrzeuge der Berufsrettung Wien
MA 70 – Die Berufsrettung Wien
Mehr als 230.000 Ausfahrten im Jahr 2021. Rund 1.200 Notrufe in 24 Stunden, über 120 Einsatzfahrzeuge, ein sich über ganz Wien ziehendes Netz von Rettungsstationen. Rund 930 hauptberufliche SanitäterInnen, MitarbeiterInnen im Bereich Technik und Verwaltung sowie ein Pool aus 140 NotärztInnen aus den Spitälern des Krankenanstalten-Verbundes sowie des Traumazentrums Wien der AUVA. All diese eindrucksvollen Zahlen verdeutlichen den immensen Einsatz, den die Berufsrettung Wien (MA 70) an 365 Tagen rund um die Uhr für alle WienerInnen tätigt. Als größte Rettungsorganisation in Wien ist die Berufsrettung Wien für den überwiegenden Teil der medizinischen Notfalleinsätze in Wien zuständig. Seit ihrer Gründung im Jahre 1881 trägt sie wesentlich dazu bei, dass Wien eine der sichersten Städte der Welt ist.
Ständige Bereitschaft, absolute Mobilität und standardisierte Abläufe sind unverzichtbare Grundvoraussetzungen, dass die Teams der Berufsrettung Wien so schnell als möglich am Einsatzort eintreffen und dort die bestmögliche PatientInnen-Versorgung und -Gesundheit sicherstellen können. Jede Ausfahrt fordert von den Rettungskräften vollen Einsatz: Vom notfallmedizinischen Wissen und Können, Kommunikations- und Handlungsrichtlinien bis zur Ruhebewahrung in kritischen Stressmomenten werden dem Rettungspersonal dabei sehr viele Fähigkeiten abverlangt. Um diesen mannigfaltigen Anforderungen gewachsen zu sein, müssen die MitarbeiterInnen der Berufsrettung Wien in regelmäßigen Abständen Trainings, Weiterbildungen und Leistungsüberprüfungen über das gesetzliche Mindestmaß hinaus absolvieren.
Aus- und Weiterbildung bei der Berufsrettung Wien
Die Aus- und Weiterbildung der Einsatzkräfte erfolgt durch die Wiener Rettungsakademie. Diese der Berufsrettung Wien zugehörige Institution übernimmt die notfallmedizinische Schulung des eigenen Einsatzpersonals, aber auch der MitarbeiterInnen anderer Rettungsorganisationen sowie weiterer Blaulichtorganisationen wie Bundespolizei oder Berufsfeuerwehr Wien. Neben theoretischen Inhalten stehen für die MitarbeiterInnen der Berufsrettung Wien auch viele anwendungsorientierte Einheiten wie realitätsnahe Simulationstrainings am Lehrplan.
Diese praxisbezogenen Trainings werden – ganz nach dem Vorbild der Luftfahrt, wo diese Methode bereits seit langem etabliert ist – nicht nur für Schulungen, sondern auch für Zertifizierungen und regelmäßige Leistungsüberprüfungen genutzt. Zu diesem Zweck wurde in der Simmeringer Rettungsstation der Berufsrettung Wien 2018 ein Trainingsraum mit Simulationstechnik errichtet. Mit dem bisherigen Trainingsangebot in den Lehrräumen der Rettungsakademie sowie der Schulstation in Simmering konnten Einsatzkräfte auf die PatientInnen-Versorgung vor Ort gut vorbereitet werden. Das neue Projekt der simulationsfähigen Rettungswägen stellt nun eine wichtige Erweiterung dieses Trainingsangebots bzw. der verfügbaren Simulationsszenarien dar.
„Mit der Schulstation in Simmering haben wir den Weg der Simulationstechnik eingeschlagen, mit den Simulations-Rettungswagen haben wir sie perfektioniert und zeitlich und örtlich unabhängig gemacht.“
Dr. Rainer Gottwald
Leiter der Berufsrettung Wien
Simulationstraining im Rettungswagen
Das Rettungswagen-Szenario
Neben der Versorgung vor Ort zählt der PatientInnen-Transport im Rettungswagen ebenso zu den entscheidenden Aufgaben der Berufsrettung Wien. Zahlreiche Simulationszentren verfügen daher zu Ausbildungszwecken über ausgemusterte Rettungswägen, die mit diversen AV-Komponenten (Kameras, Mikrofone etc.) ausgestattet werden und als fix installiertes Setting für Simulationstrainings zur Verfügung stehen. Die Berufsrettung Wien geht hier einen bedeutenden Schritt weiter. Anstatt einfach einen nachgebauten Rettungswagen in einem Simulationszentrum statisch zu integrieren, bringt die Berufsrettung Wien mit ihrem neuen Projekt die Simulation dorthin, wo auch der Einsatz stattfindet: in das tatsächliche Einsatzfahrzeug. Und nicht nur das. Das europaweit einzigartige Projekt der Berufsrettung Wien sieht vor, nicht nur einen oder zwei Rettungswägen für eine solche Anwendung zu modifizieren, sondern aktuell 18 aktive Rettungswägen der Berufsrettung Wien als mobile Trainingsräume für videobasierte Simulationen nutzen zu können. Anders gesagt: Ein Teil des Fahrzeugbestands der Berufsrettung Wien wird zu einer Flotte von mobilen Simulationsräumen auf vier Rädern. Doch wie lässt sich eine solche ambitionierte Projektidee technisch umsetzen?
Die Projektidee
Die äußerst komplexe Umsetzung dieser Projektidee erfolgte in enger Zusammenarbeit zwischen der Berufsrettung Wien, dem Fahrzeugbauer Dlouhy und SIMStation. Die Grundidee bestand darin, sämtliche neuen Fahrzeuge bereits bei der Herstellung mit einer funktionalen SIMStation Netzwerkstruktur zu versehen. Diese aus Netzwerk-Switches, High-Duty-Kabeln und Magnethalterungen bestehende Grundstruktur liefert die technische Basis für die videobasierten Simulationstrainings. Im Gegensatz zu herkömmlichen Ansätzen, die eine nachträgliche und schnell an Grenzen stoßenden Umrüstung von fertigen Einsatzfahrzeugen zu Simulationszwecken vorsehen, wurde hier die Simulationsfähigkeit bereits bei der Planung der Einsatzfahrzeuge berücksichtigt und mit bedacht. Dieser vorausschauende Ansatz offenbart einen immensen Vorteil: Die gesamte SIMStation Netzwerkstruktur konnte vom Fahrzeugbauer gänzlich hinter der Innenverkleidung verbaut werden. Die simulationsfähigen Rettungswägen lassen sich daher weder hinsichtlich ihres Aussehens noch ihrer Funktionalität von herkömmlichen Rettungswägen unterscheiden. Das vollständig verbaute Netzwerk-Equipment und die hinter der Innenverkleidung verlaufende Verkabelung stören in keiner Weise den normalen Betrieb eines Rettungswagens. Und sie stören demnach auch nicht den Ablauf eines Simulationstrainings.
Der Ablauf eines Simulationstrainings
Die SIMStation Netzwerkstruktur bildet die funktionale Grundlage von videobasierten Simulationstrainings in den Rettungswägen. Doch wie läuft ein solches in der Realität tatsächlich ab? Für die Durchführung eines Trainings muss die SIMStation Netzwerkstruktur eines Rettungswagens nur mit einer SIMStation Essential und einem Übungs-Patientenmonitor/Defibrillator gekoppelt werden. Die ultramobile Produktlinie, von der bis jetzt zwei Stück bei der Berufsrettung Wien im Einsatz sind, umfasst drei IP-Kameras, ein Raummikrofon und einen Kontroll-PC. Das gesamte System lässt sich in einem leicht transportierbaren Alu-Case verstauen. Die TrainerInnen können das gesamte Equipment also bequem und höchst flexibel zum jeweiligen Standort des gewünschten Rettungswagens mitnehmen. Direkt vor Ort werden vor dem Beginn des Trainings die Kameras und das Mikrofon der SIMStation Essential sowie der Übungsmonitor mit nur wenigen Handgriffen an strategisch wichtigen Positionen im Rettungswagen befestigt (mittels hinter der Verkleidung positionierten Magnethalterungen) und über bereits integrierte Steckplätze mit der SIMStation Netzwerkstruktur verbunden. In der Fahrerkabine wiederum findet sich ein Netzwerkanschluss für den SIMStation Kontroll-Laptop, der mit Hilfe der SIMStation Software die Steuerung sämtlicher AV-Komponenten sowie die Gestaltung und Aufnahme des Simulationsszenarios ermöglicht. Damit sind alle Voraussetzungen für ein Training – die Simulation, die Kontrolle und das Debriefing – gegeben. Das Simulationstraining kann beginnen.
„Die mit dem mobilen SIMStation System ausgestatteten Rettungswägen eröffnen uns gänzlich neue Perspektiven bei der Aus- und Weiterbildung unserer MitarbeiterInnen sowie in der Qualitätssicherung und bei Leistungsüberprüfungen.“
Michael Girsa, MBA
Leiter der Rettungsakademie
Die Vorteile des Projekts
Bisher sind bereits 18 neue Rettungswägen der Berufsrettung Wien im Einsatz, die anhand der oben beschriebenen Modifizierungen mobile, videobasierte Simulationstrainings ermöglichen. Die Vorteile, die sich der Berufsrettung Wien durch dieses Projekt ergeben, sind zahlreich:
- Die bestehende Simulationsstruktur
Durch die innovative Bauweise ist die AV-Grundstruktur für videobasierte Simulationstrainings bereits im Rettungswagen integriert. Das restliche, leicht zu transportierende Equipment (Kameras, Mikrofon, Laptop, Übungsmonitor) muss lediglich angesteckt werden und ist von Beginn an perfekt positioniert und voll einsatzbereit. Der Systemaufbau und der Abbau benötigen jeweils nur 5 Minuten und verlaufen – wie die Handhabung des gesamten SIMStation Essential Systems – einfach und vollkommen intuitiv. - Die authentische Trainingsumgebung
Die Simulationstrainings finden direkt in den tatsächlichen Rettungswägen statt. Es handelt es sich also um sogenannte In-Situ-Trainings; also Trainings, die in der realen Arbeitsumgebung des Einsatzpersonals stattfinden. Hinsichtlich des Settings – von den räumlichen Gegebenheiten bis zur Ausstattung – ist demnach größtmögliche Authentizität garantiert. Da sich die Verkabelungen, sämtliche Anschlüsse und Halterungen hinter der Fahrzeugverkleidung befinden, wird die Authentizität der Umgebung durch das AV-Equipment auch in keiner Weise beeinflusst. - Unmittelbarkeit des Trainings
Dank der mobilen SIMStation Essential kommen die TrainerInnen zu den Einsatzkräften und nicht umgekehrt. Die MitarbeiterInnen müssen demnach vorab auch nicht über das Training bzw. dessen Inhalt informiert werden. Der Vorteil: Die Simulations-TeilnehmerInnen werden gänzlich unvorbereitet mit einem inszenierten Notfall konfrontiert – eine Prämisse, die ebenso auf tatsächliche Rettungseinsätze zutrifft. Mobile Simulationstrainings reproduzieren damit zugleich auf äußerst authentische Weise den Charakter des Unvorhersehbaren bei Rettungseinsätzen.
- Absolute Mobilität
Indem die Simulationstrainings in den tatsächlichen Einsatzfahrzeugen stattfinden, können die Training prinzipiell überall durchgeführt werden (mit der offenkundigen Bedingung, dass zu dem Zeitpunkt kein aktiver Einsatz stattfindet). Neben dem Zeitpunkt ist also auch der Standort des Trainings des Rettungswagens voll flexibel. Die TrainerInnen können die Simulation direkt zu den Rettungsteams in ganz Wien bringen. - Perfekte Testbedingungen
Hinsichtlich Umgebung und Rahmenbedingungen sorgen die vorher genannten Punkte für perfekte Voraussetzungen, um bei den Einsatzkräften (bzw. ihrem Wissen und ihren Kenntnissen) regelmäßige Leistungsüberprüfungen durchführen zu können. Diese Maßnahmen sind essenziell wichtig, um das Ausbildungslevel und den Wissenstand der MitarbeiterInnen auf konstant hohem Niveau halten zu können. - Optimale Ressourcennutzung
Da jeder Rettungswagen potenziell auch ein Simulationsraum ist, kann die Nutzung der personellen Ressourcen wesentlich effizienter gestaltet werden. Dies ist von Bedeutung, da die grundsätzliche Unplanbarkeit der Einsatzintervalle (also wann und wo ein Einsatz zu erfolgen hat) häufige Leerzeiten des Personals mit sich bringt. Diese auftretenden Leerzeiten können nun einfach und produktiv durch gezielte Weiterbildungsmaßnahmen gefüllt werden. - Eine ganze Simulationsflotte
Die Berufsrettung Wien verfügt durch das Projekt über eine permanent verfügbare Trainingsinfrastruktur. Sollte ein Rettungswagen aufgrund eines Einsatzes oder eventuelle technischer Gebrechen für ein Simulationstraining nicht in Frage kommen, stehen andere, nicht im Einsatz befindlichen Rettungswägen der Flotte für videobasierte Simulationstrainings zur freien Verfügung.
Fazit
Abschließend ist zu sagen, dass videogestützte Simulationstrainings bei der Berufsrettung Wien nicht nur als Mittel der Weiterbildung und Mitarbeiterüberprüfung dienen, sondern vor allem als große Chance verstanden wird, die Rettungskräfte in ihrem Können zu bestärken und ihnen durch dieses pädagogische Angebot wertvolle Erfahrungen und Sicherheit für den praktischen Ernstfall mitzugeben. In diesem Sinne handelt es sich hierbei um ein Projekt, von dem sowohl die Berufsrettung Wien als Institution als auch die einzelnen MitarbeiterInnen profitieren. Aber nicht nur das: Als qualitative Methode sorgt videobasiertes Simulationstraining für eine signifikante Erhöhung der Ausbildungs- und Versorgungsstandards. Und davon profitieren vor allem auch die PatientInnen.